Rede beim Fairlag-Kongress – Bestandsaufnahme
In meiner damaligen Funktion als stellvertretender Bundesvorstandsvorsitzender des Verbands deutscher Schriftstellerinnen und Schrifsteller („VS“ in ver.di) und als Begründer des Montségur Autorenforums, war ich doppelt angesprochen:
Beide Organisationen sind Gründungsmitglieder des „Fairlag“ Aktionsbündnisses, einem Zusammenschluss von über 65 Autorenverbänden und anderen Literaturinstitutionen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, die sich für mehr Fairness im Verlagsbetrieb zusammengeschlossen haben und auf Missstände im Verlagswesen aufmerksam machen möchten, die einseitig zu Lasten der Autoren gehen.
Im Rahmen des Fairlag-Kongresses in Basel 2012 hielt ich zum Auftakt eine Rede zur Bestandsaufnahme der Situation der Autoren:
Der Streisand-Effekt: Damit wird das Phänomen bezeichnet, wenn der Versuch, unliebsame Informationen zu unterdrücken, das Gegenteil, nämlich noch größere Aufmerksamkeit, bewirkt.
Ohne Frage hat die Prozesswut der Druckkostenzuschussverlage genau dies ausgelöst:
Die Gründung des Fairlag Aktionsbündnisses.
Eine informative Liste von Unternehmen, die von Autoren eine finanzielle Beteiligung verlangen, ist seit vier Jahren online – eine Ewigkeit nach Maßstäben des Internets. Trotz mehrerer Versuche konnte sie rechtlich nicht erfolgreich beanstandet werden, sie wurde über 40.000 Mal aufgerufen und an zahlreichen Orten im Netz verlinkt.
Die betrügerischen Unternehmen, von denen wir gehört haben, bilden das eine, das extreme Ende des Spektrums. Zwischen den Selbstzahler“verlagen“ (oder besser: Dienstleistungsunternehmen) und den klassischen Verlagen bildet sich jedoch seit einigen Jahren ein besorgniserregender, immer größer werdender Graubereich. Dabei geht es nicht immer um finanzielle Beteiligung. Viele Klein- und Kleinst-Verlage zeigen ebenso überraschende Kreativität in der Neudefinition der Verlagsleistungen und der Erwartungen an den Autor.
Sehen wir uns daher noch einmal an, wie das klassische Verlagsmodell aussieht:
Als Erstes verfasst der Autor sein Manuskript und übersendet es dem Verlag. Ob zu diesem Zeitpunkt bereits ein Verlagsvertrag besteht oder ob durch die Annahme des Manuskriptes erst ein Vertrag ausgehandelt wird, ist von Fall zu Fall unterschiedlich.
Der Verlag wird das Manuskript nun lektorieren. Hierbei durchläuft der Text eine Politur. Im Lektorat wird nicht nur ein orthografisches Korrektorat vorgenommen. Es werden auch sprachliche Probleme aufzeigt, Unstimmigkeiten in der Motivation der Figuren, Schwächen in der Dramaturgie, Löcher in der inneren Logik, und dergleichen mehr. Gegebenenfalls wird auch ein Redakteur hinzugezogen, der inhaltliche Details (zum Beispiel technische, wissenschaftliche oder historische) überprüft.
Das Lektorat überlässt dem Autor alle Anmerkungen, Korrekturen und Verbesserungsvorschläge. Der Autor ist nicht verpflichtet, diese anzunehmen, wird das aber in den meisten Fällen als hilfreiche Unterstützung anerkennen.
Nach der Überarbeitung durch den Autor kommt das Manuskript in die Produktion, wo der Satz erstellt wird. Dieser Satz wird, früher als Druckfahne, heute als Ausdruck auf einzelnen Blättern, nochmals korrekturgelesen.
Das Buch wird mit einem speziell formulierten Klappentext versehen und mit einem eigens entworfenen Cover. Das Buch enthält eine ISBN-Nummer, es wird mittels Programmvorschauen und durch die Verlagsvertreter dem Buchhandel angepriesen. Dann wird das Buch gedruckt und an den Buchhandel geliefert. Der Autor erhält seine Belegexemplare, sowie einmal im Jahr eine Abrechnung der verkauften Exemplare und gegebenenfalls eine Ausschüttung seiner Tantiemen, soweit sie nicht einem etwaigen Vorschuss gegengerechnet werden.
Dies ist der übliche und minimale Ablauf, der die regulären Aufgaben des Verlages umfasst.
So arbeiten alle seriösen Verlage. Je nach Größe und je nach Programmplatz offerieren sie auch weitere Leistungen: Produktion von Werbemitteln wie Aufstellern, Lesezeichen oder Postern, das Anbieten des Autors für Lesungen, die Organisation von Lesereisen, das Versenden von Leseproben und Andrucken für die Presse, Blogs und Diskussionsforen, die Organisation von Interviews, den Weiterverkauf der Auslandslizenzen und anderer Nebenrechte und vieles mehr.
Zu beachten bei dieser Aufzählung ist: Die Arbeit des Autors ist nach der Fertigstellung und der folgenden Überarbeitung des Manuskriptes getan. Er ist für keine der anderen Aufgaben verantwortlich, ebenso wenig haben diese einen Einfluss auf seine Tantiemen, und noch weniger zahlt er irgendetwas für diese Leistungen. Sie sind das, was einen Verlag ausmacht.
Die erste goldene, notwendige Regel lautet: „Geld fließt nur vom Verlag zum Autor, niemals anders herum.“
In dem von mir betreuten Autorenforum Montségur liste ich Unternehmen auf – wir nennen sie bewusst nicht Verlage – die vom obigen, klassischen Verlagsprinzip abweichen. Dabei handelt es sich nicht notwendigerweise um Betrüger. Dies im Einzelfall zu definieren und zu belegen liegt außerhalb meiner Kompetenz. Aber es sind Unternehmen, die auf die eine oder andere Weise den Autor an ihrem Geschäftsrisiko beteiligen. Sie verlangen finanzielle Co-Finanzierung oder treten einige der Aufgaben an den Autor ab, die eigentlich der Verlag zu übernehmen – und zu zahlen – hätte.
Die noch vor wenigen Jahren übliche Argumentation eines notwendigen „Druckkostenzuschusses“ hört man kaum noch, nachdem die großen, effektiv betrügerischen Druckkostenzuschussverlage den Bogen überspannt hatten. Es ging nicht selten um vier- bis fünf-stellige Eurosummen, die zum Teil von den Autoren verlangt wurden, und auf diesen Betrug fallen glücklicherweise immer weniger Menschen herein. Dennoch ist das Prinzip des Zuschusses – zumeist in Bereich einiger hundert Euro – noch immer weit verbreitet. Einige der Firmen gehen damit ganz offen um und erklären, dass sie damit irgendeine Art von Leistung abdecken. Die jeweilige Detailargumentation dafür ist unterschiedlich, aber der Effekt ist der einer Art Servicepauschale. Manchmal wird angeboten, man würde man diese Pauschale erstattet bekommen, sobald das Buch den entsprechenden Betrag erwirtschaftet habe.
Doch egal, wie man es dreht und wendet: Hier zahlt der Autor. Und ob er das Geld jemals wieder sieht, ist ungewiss. Die Firma beteiligt ihn an ihrem Geschäftsrisiko.
Die zweite goldene Regel lautet: „Die Aufgabe des Autors ist es, das Buch zu schreiben.“
Nicht, es zu lektorieren, nicht, es zu setzen, es zu drucken, es anzupreisen, es zu verkaufen, er zu lagern, oder es zu verschicken.
Wer nicht so dreist ist, Geld vom Autor zu verlangen, der spart einfach Leistungen ein. In einigen der Verträgen, die wir zu sehen bekommen, weisen die Unternehmen darauf hin, dass sie kein Lektorat anböten. Dass sie aber – aus Qualitätsgründen – keine unlektorierten Texte annähmen. Was macht also der veröffentlichungsgierige Autor, der im Antwortschreiben gerade in den Himmel gelobt wurde? Er zahlt selbst für ein Lektorat. Und schon hat der Verlag etwas gespart.
In einem Fall wurde sogleich ein unverbindliches Angebot eines externen Lektoratsdienstes mitgeschickt. Das klingt wie eine nette Aufmerksamkeit. Bis auf die Tatsache, dass dieser Lektoratsdienst, wie sich herausstellte, dem gleichen Inhaber (wie der Verlag) gehört.
In anderen Firmen weist man darauf hin, dass man nur dann die Produktion des Werkes in Betracht ziehen würde, wenn der Autor sich auf eine „Mindestabnahmemenge“ festlegt. Statt also – wie es üblich ist – zehn, zwanzig oder dreißig Belegexemplare kostenfrei zu bekommen (bei Anthologiewerken zwei bis fünf), soll man hier zum „Autorenpreis“ eine gewisse Anzahl, oft fünfzig, hundert oder zweihundert Exemplare selbst bestellen und natürlich bezahlen.
Wenn sich das für Sie verdächtig nach dem Angebot eines Printshops anhört, dann liegen Sie nicht weit daneben.
Andere Unternehmen haben das Prinzip der Mindestabnahme inzwischen mit einer sozialen Komponente variiert. Wir alle haben doch Facebook. Und hunderte von „Friends“. Also muss ich als Autor meine Mindestabnahme nicht mehr selbst zahlen. Es reicht, wenn ich eine Liste von fünfzig oder hundert Vorbestellungen meiner Verwandten und meiner „Friends“ besorge. Gelingt mir das, erklärt sich die Firma bereit, mein Buch zu drucken. Damit ist ihr dann nicht nur das finanzielle Risiko abgenommen, sondern gleich auch noch die Werbung! Wie praktisch. Aber nicht für den Autor, die Autorin.
In jedem dieser Fälle geht es darum, dem klassischen Verlagsmodell auszuweichen, dem Unternehmen Risiko, Kosten und Arbeit zu ersparen.
Wir Autoren, wir, die wir Literaturwebsites und Diskussionsforen betreiben, wir, die Autorenverbände, wir vom Fairlagbündnis, wir alle haben schon viel Aufklärung betrieben und Staub aufgewirbelt. Durch den Erfolg unserer Aufklärung sehen sich diese Unternehmen gezwungen, sich der Aufklärung anzupassen. Da verwundert es also nicht, wenn Zuschüsse jeglicher Art immer seltener explizit gemacht werden. Auch werden Leistungen ausdrücklich und als „kostenfrei“ beworben, wie Lektorat, Satz, ISBN-Nummer oder Cover-Gestaltung – die aber natürlich vollkommen selbstverständlich sein müssten!
Im Gegenzug wird eine Art Vorschuss einbehalten, der zur Finanzierung genau dieser Dinge gedacht ist. In der Folge enthält der Vertrag dann eine Klausel, die erklärt, dass der Autor erst dann Tantiemen bekäme, wenn eine verkaufte Auflage von X überschritten würde. Bis dahin verbleiben sämtliche Umsätze beim Verlag. Raten Sie, wie häufig es Kleinverlage schaffen, die entsprechenden Verkaufsgrenzen zu überschreiten.
Man könnte also sagen: Ja, hier fließt kein Geld vom Autor zum Verlag.
Es fließt schlicht gar nichts mehr.
Was können wir tun, was müssen wir tun, wenn wir nicht zum Opfer werden wollen? Was müssen wir tun, um auch in Zukunft für das Schreiben fair bezahlt zu werden?
Ja, wir möchten unsere Position sichern. Wir müssen es. Aber das darf nicht bedeuten, konservativ zu sein. Denn die Zukunft erfindet sich jeden Tag neu, heute schneller, als noch vor einigen Jahrzehnten.
Und daher müssen wir Teil davon sein, sie zu gestalten.
Inzwischen ist der Text auf der Seite von Fairer Buchmarkt zu finden.